Der Begriff Leitkultur – Wie der Begriff systematisch und nachhaltig beschädigt wurde

Der Begriff Leitkultur taucht erstmals im Jahr 1998 bei dem islamischen Politikwissenschaftler Bassam Tibi auf. Tibbi wollte mit dem Begriff definieren, unter welchem Wertekonsens sich Zuwanderer und Einheimische in Europa gemeinsam einfinden sollten.

Dem von ihm in Betracht gezogenen Wertekonsens ordnet er die Demokratie, die Aufklärung, die Menschenrechte und den Laizismus zu.
Im Jahr 1999 wurde in der Folge erstmals der Begriff „deutsche Leitkultur“ verwendet, und zwar vom Herausgeber der „ZEIT“, Theo Sommer. Theo Sommer wollte damals mit dem erweiterten Begriff eine Diskussion über Integration und Kernwerte in Deutschland anstoßen. Somit fand der Begriff Einzug in die politische Diskussion.

Im Jahr 2000 schloss sich eine zuwanderungs- und integrationspolitische Debatte an, ausgelöst durch eine Rede des CDU-Abgeordneten Friedrich Merz im Oktober 2000.

20150927_152610

Merz hatte die politische Variante des Leitkultur-Begriffes im Rahmen der Debatte über die Änderung des Einwanderungsrechts im Oktober 2000 formuliert, um unter anderem auf dessen Basis notwendige Regeln für Einwanderung und Integration zu begründen. Er sprach von der „freiheitlich demokratischen deutschen Leitkultur“ und forderte, Zuwanderer müssten die „deutsche Leitkultur” respektieren. Sie hätten also einen eigenen Integrationsbeitrag zu leisten, indem sie sich an die in Deutschland gewachsenen kulturellen Grundvorstellungen annäherten. Merz verlangte damals Einwanderungsregelungen mit dem Ziel, jährlich nur etwa 200.000 Zuwanderer aufzunehmen. Bei mehr würde die Integrationsfähigkeiten der einheimischen Bevölkerung überfordert.

In der Folge verschob sich die Definition des Begriffs Leitkultur und wurde zum Gegenbegriff des Multikulturalismus.
In dieser Bedeutung wird der Begriff heute alltagssprachlich verwendet.

Spätestens ab 2004 wurde über den Begriff Leitkultur reichlich polemisiert. Der Begriff wurde insbesondere durch das BÜNDNIS 90/GRÜNE als Versuch der Assimilation, also Anpassung um jeden Preis verunglimpft. Außerdem wurde der Vorwurf erhoben, es handele sich bei dem Begriff um ein Instrument der „Neuen Rechten“.

Von der Pons-Redaktion wurde der Begriff“ deutsche Leitkultur“ 2008 zum „Unwort des Jahres“ gewählt.

In der CDU gab es seit 2005 immer wieder Versuche, die polemisch abgewürgte Diskussion über eine deutsche Leitkultur zu reaktivieren
(u. a. Bundestagspräsident  Dr. Norbert Lammert).

Seit Ende 2007 ist im Grundsatzprogramm der CDU von einer „Leitkultur in Deutschland“ die Sprache, während sich im Grundsatzprogramm der CSU ein Bekenntnis zur „deutschen Leitkultur“ befindet.

Von welch elementarer Bedeutung die Auseinandersetzung und der Umgang mit dem Begriff „Leitkultur“ für die Zuwanderungs- und Integrationspolitik ist, wird deutlich, wenn man den Blick auf die immer schwerwiegenderen sozialen und kulturellen Folgen der sich vor unsern Augen abspielenden Wertekollision richtet.

Beitrag „Leitkultur im Multi-Kulti_Land“:

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/debatte/article144823710/Leitkultur-im-Multikulti-Land.html

Schreibe einen Kommentar