Die doppelte Staatsbürgerschaft – Der verlogene Kampf um die Mehrstaatigkeit

Scheinbar beharrlich bekundete die Kanzlerin über Jahre hinweg, dass sie keine doppelte Staatsbürgerschaft wolle. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich dies als ein verlogener Kampf gegen die Mehrstaatigkeit. Der Doppelpass ist seit Jahren eher die Regel als die Ausnahme.

Noch vor wenigen Monaten war in vielfältigen zuwanderungs- und integrationspolitischen Verlautbarungen der CDU zu lesen, die doppelte Staatsbürgerschaft, also die Mehrstaatigkeit, solle weiterhin die Ausnahme bleiben und nicht zur Regel werden.

In den integrationspolitischen Leitlinien „Vielfalt in Verantwortung“ der CDU-Landtagsfraktion Baden-Württemberg las sich das so:

cdu

http://fraktion.cdu-bw.de/fileadmin/user_upload/infothek/Allgemein/20120329_Integrationspolitische_Leits%C3%A4tze_der_CDU-Landtagsfraktion.pdf

Täuschungsmanöver

Was aber hat sich geändert, nachdem die Kanzlerin in Sachen Doppelpass eine ihrer inzwischen legendären Kehrtwenden vollzogen hat?

In Wahrheit nichts!

Ein Blick in die Praxis offenbart: Die Kanzlerin und ihre Partei hat mit ihrer Forderung, der Doppelpass möge die Ausnahme blieben, die Öffentlichkeit über Jahre hinweg in die Irre geführt. Der Kampf der CDU gegen den Doppelpass war ein ausgeklügeltes Scheingefecht, das der Vermarktung eines vermeintlich konservativen Profils dienten sollte und seinesgleichen sucht.

Seit Jahren bereits ist die Mehrstaatigkeit praktisch die Regel (!) und nicht, wie der Bürger glauben sollte, die Ausnahme.


Die Praxis der Hinnahme der Mehrstaatigkeit

Der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit wurde spätestens mit der Einführung des „Geburtserwerbs“ der Staatsangehörigkeit durch hier geborene Kinder aufgegeben. Während bis zu diesem Zeitpunkt nur Kinder von mindestens einem deutschen Elternteil deutsche Staatsbürger wurden (noch früher nur dann, wenn der Vater Deutscher war), gilt seit der Regierung Schröder, dass auch Kinder hier geborener ausländischer Eltern dann die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn mindestens ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland wohnt.

Diese Voraussetzung ist seit den Zeiten der Massenzuwanderung von Gastarbeitern in den meisten Fällen erfüllt. Zwar wurde – aufgrund des damaligen Widerstands der CDU – für diese Kinder eine grundsätzliche sogenannte „Optionspflicht“ (die Pflicht, sich für eine der beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden) gesetzlich festgelegt. Sie sollte mit dem Erreichen der Volljährigkeit ausgeübt werden. Aber just jetzt (!), da die ersten betroffenen Kinder volljährig werden, kommt die Optionspflicht nicht mehr zur Anwendung, da sie faktisch wieder abgeschafft, beziehungsweise derart abgeschwächt wurde, dass sie praktisch so gut wie nicht mehr relevant ist.

Keine Frage: Die Optionspflicht diente ausschließlich dazu, den Bürgern eine besondere Besorgnis in Sachen Mehrstaatigkeit vorzugaukeln.
Es gemahnt an unseriöse Treppengeschäfte, dass, was die Vergabe der Mehrstaatigkeit an Erwachsenen betrifft, das Entscheidende im Kleingedruckten zu finden ist: in diesem Falle in den Verwaltungsvorschriften.

Fallgestaltungen, in denen auch bei der Einbürgerung von Erwachsenen Mehrstaatigkeit hingenommen wird, wurden in den vergangenen Jahren von allen Landesregierungen massiv erweitert. Ein Blick in die Verwaltungsvorschriften des „Integrationsministeriums“ Baden-Württemberg (Ziffer 12) gibt hierüber beispielhaft Aufschluss. Die Ziffer 12 regelt auf insgesamt sieben Seiten und in allen Varianten die Ausnahmen vom Erfordernis der Vermeidung von Mehrstaatigkeit.

http://www.integrationsministerium-bw.de/pb/site/pbs-bw/get/documents/mfi/MFI/pdf/VwV%20StAG%20vom%208.%20Juli%202013.pdf

Unberührt von diesen Regelungen, die die Lebenswirklichkeit der Vergabe der Mehrstaatigkeit dokumentieren, werden praktisch alle Asylberechtigten und alle Flüchtlinge unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert. Auch  Millionen von Spätaussiedlern wurden regelmäßig Mehrstaater.

pässe


Mehrstaatigkeit ist die Regel

Schätzungen aus der Praxis zufolge dürfen 50 % der Eingebürgerten ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten.  Aber auch vielen derjenigen, die unter offizieller Vermeidung von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, und den Pass ihres Herkunftslandes ablegen müssen, stehen Mittel und Wege zur Verfügung, sich dieses „Nachteils“ zu entledigen:

Da die Herkunftsstaaten – mit Ausnahme einiger weniger – keine Mitteilung über das Ausscheiden aus der angestammten Staatsangehörigkeit erhalten, ist es in den allermeisten Fällen unproblematisch, sich anlässlich eines Heimaturlaubs mit der Behauptung, der alte Pass sei verloren gegangen, einen neuen zu beschaffen. Die in den meisten Herkunftsländern desolaten Verwaltungen machen dies möglich.

Zwar geht durch die Wiederbeschaffung des Passes in den Herkunftsländern die deutsche Staatsbürgerschaft – rein theoretisch – verloren; aber eben nur theoretisch, denn schließlich fließen auch vom Herkunftsland keine behördlichen Informationen zu den deutschen Ämtern.

Über Jahre hinweg wurden türkische Einwanderer, die im Rahmen der Einbürgerung in Deutschland ihren Pass abgeben mussten, durch ihre Konsulate wieder mit einem Pass versorgt. Das war dem deutschen Staat bekannt. Aus „diplomatischer Rücksichtnahme“ und weil der Grundsatz der Einstaatigkeit für die politische Profilierung ohnehin nur vordergründig von Bedeutung war, wurde dieser Betrug hingenommen.

Spätestens hier wird deutlich, wie verlogen der Kampf gegen den Doppelpass der Partei war, die heute kaltblütig vorgibt, sie habe sich in Sachen Mehrstaatigkeit dem Koalitionspartner beugen müssen.

Mehrstaatigkeitserwerb durch Geburt

Neue Regelungen für die durch Geburt erwerbbare Mehrstaatigkeit haben die Optionen für die Mehrstaatigkeit dramatisch erweitert. Vom Geburtserwerb ihres Kindes können nun auch die Eltern ein dauerhaftes und unaufhebbares Bleiberecht ableiten, das in seinen rechtlichen Wirkungen der deutschen Staatsangehörigkeit praktisch gleichkommt. Dies gilt auch für Unverheiratete und selbst für den Fall, dass die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben. Massive Auswirkungen dieser Regelungen sind abzusehen.

Europa – Mehrstaatigkeit, wohin man blickt

Bis zur Einführung der Freizügigkeit in Europa musste in den meisten europäischen Ländern bei Einbürgerungen ebenfalls der Pass des Herkunftlandes abgeben werden. Das gehört der Vergangenheit an. Seit ca. 2007 gilt für Angehörige von EU-Staaten auf Basis der Gegenseitigkeit ebenfalls die Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Das heißt – abgesehen von wenigen Ausnahmen – behalten auch alle EU-Bürger, die sich in Deutschland einbürgern lassen, ihren alten Pass.

Fazit

Die Altparteien haben jahrelang in aller Öffentlichkeit eine Diskussion über die Mehrstaatigkeit geführt, wohl wissend, dass diese Diskussion längst gegenstandslos war.

Den Parteispitzen muss die tatsächliche Vergabepraxis der Mehrstaatigkeit bekannt gewesen sein. Insbesondere die CDU hat den nichts ahnenden Bürger vorgespielt, sie wolle die Einstaatigkeit erhalten.

Weder die Kanzlerin noch ihre Partei verdient hierfür weiteres Vertrauen der Wähler.


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